Big Data, Donald Trump und der „Magische Digitalismus“

Die Bombe gezeigt ... und explodieren lassen - Big Data und die US-Wahl
Lesezeit: 7 Minuten | 10. Januar 2017 - Florian Lamp
Big Data. Es gibt viele Begriffe, die sich aus dem Adjektiv „big“ und einem Substantiv zusammensetzen. „Big Business“, „Big Ben“, „The Big One“. Dabei wirkt das Wort „big“ ähnlich wie das Wort „neu“. Was neu ist, hat eine hohe Qualität, macht neu-gierig, löst das Alte ab.

Was groß ist, ist größer als das davor Gewesene, viel hilft viel, die große Portion ist nahrhafter als der Kinderteller. „The Notorious B.I.G.“, „Big Brother“ und jetzt „Big Data“. Big Data hat Donald Trump die Wahl zum Präsidenten gewinnen lassen! So, oder so ähnlich heißt es in einem Artikel von Mikael Krogerus und Hannes Grassegger im „Magazin N°48“ der Wochenendbeilage des Schweizer Tagesanzeigers – der von Sascha Lobo auf Spiegel Online als Anzeichen für „Magischen Digitalismus“ gedeutet wurde.

Big! Bombe! Neu!

Die Überschrift des Artikels zu Big Data: „Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt“. Klingt spektakulär, ist aber weit weniger lustig als der vom Titel her vergleichbare Kubrick-Klassiker „Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb“. „Big“ und „Bombe“ in einem Artikel – das sorgt für Aufmerksamkeit.

Fehlt eigentlich nur noch der Begriff „neu“, aber auch so hat es schon gereicht. Das Porträt über den Psychologen Michal Kosinski (NICHT: Luise Koschinsky! Und auch NICHT Ted Kaczynski!) ging viral, wurde auf Facebook, Twitter und überall in der restlichen Offline-Medienwelt kräftig geteilt.

POW!
Kawumm! (by aitoff/Pixabay)

Dr. Mabuse weiß, ob Du schwul bist

Ein Schelm, der dabei denkt, dass da nicht auch „Big Data“ dahintersteckt. Böse, gerissen und mittels schwarzer Psychologie zu fast allem in der Lage. Ein virtueller Dr. Mabuse, der für jeden einzelnen Facebook-User bzw. US-Bürger die passende „Sektion 2B“ in dessen Algorithmus spült.

Gehirnwäsche per Facebook Ad. Schau Dir die Likes an und ich sage Dir besser, als Du es selber weißt, wer Du bist. Dr. Mabuse weiß, ob Du schwul bist (88-prozentige Sicherheit), ob Du schwarz, weiß, rot oder gelb bist (95-prozentige Sicherheit). Er weiß, ob Du zu viel rauchst und trinkst, ob Du an Allah oder den lieben Gott glaubst.

Der gläserne Mensch

Wahrscheinlich weiß er auch zu 74,5 %, schwuppdiwupp, ob Du schwarz, schwul, schwabbelig, schwungvoll und Schwabe bist und einen schwachen schwatzhaften Schwippschwager mit schwammigem Schwartenbauch in der Verwandtschaft hast. Und weil er das weiß, manipuliert er Dich. Du bist seine Marionette, denn er schickt Dir auf Facebook Sponsored Posts.

Und wie jeder weiß, der auf Facebook unterwegs ist: Darauf musst Du klicken. Du musst jetzt darauf klicken. Klick jetzt sofort darauf. Klick! Mich! An! Du willst es doch auch! Wen interessieren die Postings von Facebook-Freunden, wenn er auf Facebook doch Werbung anklicken kann.

Volltreffer versenkt!
Und wieder hat es gekracht! (by aitoff/Pixabay)

Targeting als wirkungsvolles Social-Media-Werkzeug

Aber was ist jetzt eigentlich dran an Big Data. Facebook, Google und Co. Alle sammeln sie Daten. Und weil sie alle Daten sammeln, verfügen Sie über große, riesige Datensammlungen. Wer viele Daten besitzt, kann einen Datenschatz sein Eigen nennen. Durch Auswertung der Daten, erhalte ich nun wiederum Informationen und kann Rückschlüsse daraus ziehen. Die Analyse hilft mir im Online Marketing, meine Werbung zielgerichteter auf von mir ausgewählte Target Groups, bzw. Zielgruppen, auszuspielen.

Möchte ich also schwule Schwarze dazu bewegen, Trump zu wählen – was nebenbei gesagt, eher geringe Erfolgsaussichten hätte – dann kann ich mir durch verschiedene Auswählmöglichkeiten des Targetings bei Facebook eine Gruppe von passenden Empfängern zusammenbauen. Habe ich dazu auch noch durch eine eigene Software die Chance, aus den hunderten von Millionen Usern deren Likes zu analysieren und Profile zu erstellen, booste ich mein Targeting und erhalte die Chance zu Micro-Targeting (wenn nicht gar Nano-Targeting).

Kann Targeting Wahlen entscheiden?

Laut Aussage des Autors big-data-needs-a-big-lever/ im Interview mit Florian Schairer vom bayerischen Zündfunk, der sich wiederum auf eine (noch nicht) veröffentlichte Studie zum Ocean-Based Micro-Targeting der Universitäten von Stanford und Cambridge bezieht, lässt sich so bei Facebook eine Steigerung der „Conversion-Rate von 1400 Prozent“ feststellen. Das ist gut. Normalerweise freut man sich als E-Marketer oft schon über einstellige Conversion-Rates.

Dank der vielen, sich oft auch widersprechenden Aussagen des Kandidaten Trump, habe ich so die Chance, jedem das Seine zu schicken. Völlig individualisierte Werbeanzeigen kann ich nun in der Timeline umkämpfter Gruppen und Noch-Unentschiedener unterbringen. So wurden laut Trumps Social-Media-Mannschaft „am Tag der dritten Debatte […] von Trumps Wahlkampfteam 175.000 Variationen seiner Messages verschickt – je nach Empfänger.“ (siehe ebenfalls das Zündfunk-Interview). So weit so gut, aber kann ich damit Wahlen entscheiden?

Was entscheidet eine Wahl (noch) außer Big Data?

Zeigt Cambridge Analytica Quellen für seine Behauptungen? Wie hoch war denn der Anteil derer, die eine dieser Anzeigen angeklickt haben? Und welche Daten besagen, dass der unentschiedene Wähler im Anschluss ans Anklicken der Facebook-Ad dann auch sein Kreuz pro Trump abgegeben hat? Und noch etwas: Kann es nicht auch diverse andere Gründe dafür gegeben haben, dass statt Hillary Clinton Donald Trump zum POTUS gewählt wurde. Was ist mit der Schwäche der Kandidatin Clinton? Wie haben sich geänderte Wahlgesetze, die Minderheiten benachteiligt haben, ausgewirkt?

Was ist mit der schwächeren Mobilisierung der potenziellen Clinton-Wähler in wichtigen Staaten – wie sie Dokumentarfilmer Michael Moore schon Ende Oktober, gut zwei Wochen vor der Wahl hier befürchtet hatte? Die Kampagne für Trump hat sicher mit zu seinem Sieg beigetragen, aber ob sie maßgeblich daran war, darf bezweifelt werden. Der Grund: Bei einer Wahl gibt es unzählig viele Aspekte, die einen starken Einfluss auf die Entscheidung des Wählers haben.

Krawuuuuuuumm!
Bang, boom, bang! (by aitoff/Pixabay)

Nach der Wahl: Auch Clinton hat gewonnen

Und hätten wir, wenn es nach reinen Wählerstimmen gehen würde (und nicht nach dem System der Wahlmänner), nicht am 20. Januar 2017 die Inauguration der ersten Präsidentin? Etwa 2.900.000 Amerikaner mehr als Trump haben Clinton gewählt. Was die Anzahl der Wähler und Wählerinnen angeht, war die Clinton-Kampagne also ein richtiger Erfolg. Aber frei nach König Pyrrhos I von Epirus, der mit Ach und Weh die Schlacht von Asculum 279 vor Christus gegen die Römer gewonnen hatte: „Noch so ein Sieg, und doch haben wir verloren.“

Bei all dem ist es keine Frage, dass die Methoden von Cambridge Analytica durchaus Ihre Auswirkungen auf unentschiedene Wähler gehabt haben. Nur: Wie groß das Ausmaß aber wirklich und insgesamt ist, lässt sich seriös nicht beurteilen. Dafür fehlen die Daten. Die ganz großen Daten. Big Data.

Trump-Bots vs. Clinton-Bots – die Schlacht von Twitter

Daten vorliegen hatten allerdings drei Wissenschaftler: Bence Kollanyi (Corvinus University), Philip N. Howard (Oxford University) und Samuel C. Woolley (Washington University), die sich im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahl genauer mit Twitter und dort anzutreffenden Bots auseinandergesetzt haben. Das Ergebnis sind zwei Studien zum Einsatz von Bots bei Twitter.

Zum einen analysierten Kollanyi, Howard, und Woolley „Bots and Automation over Twitter during the Third U.S. Presidential Debate“, zum anderen untersuchten Sie in „Bots and Automation over Twitter during the U.S. Election“ auch die von Tag zu Tag bis zur Wahl anwachsende Zahl von „Pro-Trump-Activity”. Dabei stellten sie fest: „Pro-Trump traffic effectively ‚colonised‘ pro-Clinton hastags.” Bis zum Wahltag galt: „81 % of the highly automated content involved some sort of Trump messaging.“

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Über den Autor

Nach geisteswissenschaftlichem Studium, Gründung eines eigenen Verlags, der bescheiden GROSSKONZERN getauft wurde, Buchveröffentlichungen als Autor und Verleger sowie einer Karriere als Online-Redakteur in Start-ups, bei ulmen.tv und woanders, schrieb Florian Qualitätstexte aller Art für die Kunden von spacedealer.

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